Sonntag, 26. Oktober 2014

Zeitumstellung


Früh am Morgen: Der Wecker reißt mich aus dem Schlaf, die Hand schnellt unter der warmen Bettdecke hervor und trifft, punktgenau, die Stummtaste.
Ich schlafe weiter.
Erneut meldet sich lautstark mein Wecker. Die Hand schnellt unter der Decke hervor… Ich stehe, noch schlaftrunken, auf.

Irgendwie schaffe ich es, das Bad zu finden. Mit eisigem Wasser wird der Schlaf aus den Augen gerieben. Nun erkenne ich auch wieder etwas. Oh, wer bist denn Du?

Kurz darauf in der Küche, beim Versuch den Kaffe in der richtigen Menge in den Filter zu füllen, ein verstohlener Blick zur Küchenuhr, die Zeiger stehen auf kurz nach 8:00 Uhr.
Ups, verschlafen!

Im Radio begrüßt mich eine muntere Stimme: Guten Morgen, es ist 7:00 Uhr. Sie hören die Nachrichten.
Ja, was denn nun: 7:00 Uhr oder 8:00 Uhr? Ich bin vollkommen durcheinander und sehne mich zurück in mein Bett.

Aber da fällt es mir wieder ein. Es war doch das letzte Wochenende im Oktober und ich habe lediglich vergessen meine Uhren eine Stunde zurück zu stellen.
Womit auch Paulchen Panters Frage: „Wer hat an der Uhr gedreht…“ geklärt werden kann.

Die PTB dreht an der Uhr.

Aber das muss sie auch. Die PTB in Braunschweig ist gesetzlich dazu verpflichtet, die Zeit nicht nur zu machen und zu verteilen, sondern die PTB stellt die Zeit auch entsprechend der Jahreszeit, Sommer oder Winter, um.

Am letzten Wochenende im Oktober, in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag werden die Uhren um eine Stunde, von 3:00 Uhr auf 2:00 Uhr zurück gedreht.

Am letzten Wochenende im März wird die Uhr eine Stunde vorgestellt. Von 2:00 Uhr auf 3:00 Uhr. Und der Sommer kann kommen.

Aber erstmal: Willkommen im Winter.

Dienstag, 7. Oktober 2014

Strahlender Sonnenschein


Wir Büromenschen haben doch ein strahlungsarmes Dasein. Während draußen die Sonne ihre Strahlen ausgiebig verteilt, hocken wir an unseren Schreibtischen, kommunizieren elektronisch und fixieren den Monitor vor uns, einen Kasten mit unglaublicher Tiefe – sozusagen ganz alte Schule. Die Röhre im Kasten, dieser Schießstand für Elektronen, braucht ja Platz. Und schon schweifen meine Gedanken ab: Ich werde hier beschossen! Die Kathodenstrahlröhre schleudert Elektronen heraus. Die Elektronen passieren eine Lochmaske und knallen auf den mit einer Phosphorschicht belegten Bildschirm. Und vor dem Bildschirm sitze ich. Von wegen strahlungsarmes Dasein!

Wissenschaftler der PTB wollten wissen, wie viel Strahlung ein Röhren-Fernseher abgibt.
Dazu brachten sie Fernsehgeräte in das ehemalige Salzbergwerk in der Asse. Genauer: in eine Tiefe von 490 m, wo die PTB das Untergrundlaboratorium für Dosimetrie und Spektrometrie (UDO) betreibt. Obwohl radioaktive Abfälle in der Nähe eingelagert sind, ist hier unten eine so geringe Strahlung vorhanden, dass Messungen von kleinen und kleinsten Aktivitäten nicht von der oberirdisch normalen Strahlung gestört werden.

Die ersten Messergebnisse an den Fernsehapparaten ergaben eine geringe Strahlung. Allerdings waren die Flimmerkisten noch gar nicht eingeschaltet. Auch als sie eingeschaltet wurden, änderte sich die messbare Strahlung kaum.
Bei der Ursachenforschung wurde schnell deutlich, dass die Kathodenstrahlröhre nicht nennenswert strahlt. Stattdessen stellten die Wissenschaftler fest, dass das Glas Strahlung abgibt.

Strahlendes Glas? Ich schau aus dem Fenster. Mir reicht’s. Ich gehe jetzt raus und lasse mich von der Sonne bestrahlen.

Donnerstag, 15. Mai 2014

Wo die Zeit gemacht wird

Über dem Eingang hängt die Zeit. 12:03 steht dort in leuchtend roten Ziffern. Und nun das, ich bin zu spät. Ausgerechnet bei den „Zeit“-Genossen. Um die Uhrenhalle der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig zu besuchen, habe ich mich mit Christian Tamm aus dem Fachbereich „Zeit und Frequenz“ verabredet; eigentlich schon vor 3 Minuten.

Ich betrete den Kopfermann-Bau, ein rotes Backsteingebäude aus den 60er Jahren, und stehe in einem langen Flur. Christian Tamm erwartet mich vor einer großen Stahltür. Ich öffnen sie und erblicke eine Schleuse, die mit Kupferplatten ringsum ausgekleidet ist. Wohltemperiert ist der Raum dahinter. Auch hier sind Wände und Decke mit Kupferplatten verkleidet. Die Klimaanlage läuft unüberhörbar.

Hier also kommt unsere Zeit her. Hier wird die Sekunde „gemacht“.

Viele Jahrhunderte wurde die Zeit als der 86400-te Teil eines mittleren Sonnentages, einer vollständigen Umdrehung der Erde um ihre Achse in Bezug zur Sonne, definiert. Wissenschaftler entdeckten jedoch, dass die Erdrotation nicht konstant genug war, um als Grundlage für den Zeitstandard zu dienen. Die Sekunde wurde deshalb im Oktober 1967 durch die 13. Generalkonferenz für Maß und Gewicht international neu definiert als: „Die Sekunde ist das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cs-133 entsprechenden Strahlung.“ Was das bedeutet, werde ich gleich erfahren.

Auf der einen Seite liegen, auf Stahlgestellen, zwei unscheinbare Röhren mit der Aufschrift „CS1“ und „CS2“. Auf der anderen Seite stehen zwei solcher Röhren, beschriftet mit „CSF1“ und „CSF2“. Sie erinnern mich an den Kessel einer Dampflok, nur kleiner. Ähnlich wie ich ihn erst kürzlich bei der Denkmallokomotive 01 1063 vor dem Braunschweiger Hauptbahnhof gesehen habe. Christian Tamm erklärt, dass in diesen „Röhren“ der sogenannte Hohlraum-Resonator steckt, durch den die Cäsiumatome geleitet werden. Innerhalb der Röhren herrscht ein Vakuum. Und die Kupferverkleidung wurde angebracht, um jegliche Außen-Strahlung, die die Messergebnisse verfälschen könnte, gar nicht erst in die Uhrenhalle zu lassen. CS1 und CS2 sind die „alten“ Uhren, die durch die Cäsiumfontänen CSF1 und CSF2 ersetzt wurden. Dabei steht das „CS“ für Cäsium. Genauer: Cäsium 133 (133CS).

133CS ist ein hoch reaktives, nicht radioaktives Leichtmetall und hat mit 28,7 °C einen extrem niedrigen Schmelzpunkt. Das Element 133CS wurde in den 1960er Jahren aus ganz praktischen Gründen ausgewählt. Schon damals konnte man die beiden Grundzustände, deren energetischer Abstand bei 9 GHz liegt, noch mit elektronischen Mitteln hinreichend genau detektieren.

In einem Ofen wird das Cäsium verdampft und in Richtung des Hohlraum-Resonators geleitet. Ein Magnet am Anfang sortiert die Atome entsprechend ihrer Polarität. Innerhalb des Resonators werden sie mit einem Mikrowellenfeld angeregt, um die Polarität zu wechseln. Das geschieht nur, wenn die Mikrowelle eine Frequenz von genau 9 192 631 770 Hz hat. Am Ende gelangen die Atome durch einen zweiten Magneten. Hier werden die, die es geschafft haben innerhalb des Mikrowellenfeldes ihre Polarität zu ändern, in einen Detektor gelenkt. Die anderen werden einfach weggeworfen. Durch eine hochkomplexe Regelelektronik wird die Frequenz gehalten und ausgezählt. Fertig ist die Sekunde.

Diese Uhren sind so genau, dass sie im Laufe eines Jahres höchstens um 12 Milliardstel Sekunden relativ zu einer idealen Uhr abweichen. Wäre die Cäsium-Uhr, deren Ofen mit 5 Gramm Cäsium gefüllt ist, mit dem Urknall entstanden, so würde sie heutzutage nur etwas mehr als eine Sekunde falsch gehen. Allerdings hätte dazu jemand alle 13 Jahre das Cäsium nachfüllen müssen.

Ich gehe aus der Uhrenhalle an die frische Luft. Die Sonne scheint. Ein letzter Blick zurück, ein Blick auf die PTB-Uhr die über dem Eingang hängt. Es ist halb eins. Ich vergleiche meine mechanische Armbanduhr mit der Zeit aus der Atomuhr und stelle sie. Nun trage ich, wenigstens für die nächste Sekunde, die ganz genaue Zeit am Handgelenk.


[Mehr zur Zeit ist auf den Seiten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zu finden.]