Dienstag, 19. April 2016

Staubproben für die Gesundheit

Stauprobensammler der PTB
Es ist kurz vor sieben, als ich an einem Montag im Februar den Vorbau des Otto Hahn-Baus betrete. Ein dunkelroter Backsteinbau auf dem Gelände der PTB in Braunschweig. Ein Plakat mit Otto Hahn, dem Entdecker der Kernspaltung hängt an der Wand. Davor ein Wagen mit einem dampfenden Stickstoffbehälter. Den langen Flur des Gebäudes zieren zahlreiche Bilder und Erklärungen zur Radioaktivität.
Gedanken über Radioaktivität habe ich mir selten gemacht. Warum auch? Schließlich ist Radioaktivität immer und überall. Man sieht, hört und schmeckt sie nicht. Zugegeben, nach Tschernobyl, 1986, da war mir unwohl. Und dann, im März 2011, das Unglück in Fukushima. Ich frage mich, wie die Radioaktivität überhaupt überwacht wird?
Bereits seit 1963 beobachten Wissenschaftler der PTB regelmäßig radioaktive Stoffe in der Luft. Die Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt ergab sich bereits in den 1945er Jahren, aufgrund der oberirdischen Kernwaffenversuche. Nach dem Reaktorunfall am 26. April 1986 in Tschernobyl wurde im Dezember 1987 das Strahlenschutzvorsorgegesetz verabschiedet und das Integrierte Mess- und Informationssystem (IMIS) eingerichtet. Hierin sind, neben der PTB, der Deutsche Wetterdienst (DWD) und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) integriert.
Ich werde von Britta Posner, Chemielaborantin der Arbeitsgruppe 6.12, die sich mit der Umweltradioaktivität beschäftigt, begrüßt. Hinter ihr, auf einer Glastür mit blauem Metallrahmen, steht auf einem Schild „Zutritt für Unbefugte verboten“. Sie nimmt einen Magnetsticker mit ihrem Namen von der Wand und heftet ihn an den Rahmen. „damit man weiß wie viele Personen sich im Labor aufhalten“ sagt sie. Wir betreten einen gefliesten Vorraum. Metallspinde stehen an der Wand. Sie reicht mir zwei Plastiküberzieher für meine Schuhe. „Bitte überziehen, damit kein Dreck in das Labor kommt“, sagt sie mit ruhiger Stimme und zieht sich weiße Birkenstock an.
Chemielabor der Arbeitsgruppe Umweltradioaktivität. Die Monatsmischproben werden hier radichemisch
behandelt.
Posner öffnet die Tür zum Chemielabor der Arbeitsgruppe Umweltradioaktivität. Auf einer Arbeitsfläche stehen in Reih und Glied Glaskolben in ihren Ständern. Darunter, auf weißen Tüchern, beschriftete Messbecher. U (Uran) und Pu (Plutonium) lese ich. „Hier behandeln wir die Monatsmischprobe radiochemisch“ sagt sie.
Für die Monatsmischproben werden die wöchentlichen Luftstaubproben zu einer Monats-Mischprobe vereinigt und einer aufwendigen radiochemischen Abtrennung und Reinigung für die betreffenden Radionuklide unterzogen, um die reinen Alphastrahler oder Betastrahler zu bestimmen.



In einem kleinen Nebenraum steht ein Computer. Posner notiert sich die Werte vom Bildschirm. Datum, Uhrzeit und Luftdurchsatz. „Diese Werte werden direkt am Staubprobensammler im Außengelände noch einmal verglichen“ sagt sie. Wenige Mausklicks später hat sie den einen Staubprobensammler aus- und einen anderen, der zur Reserve dient, eingeschaltet.
Es ist fast hell, als wir quer über das rund einen Quadratkilometer große PTB-Gelände gehen. Während sie einen Klappwagen mit dem gut gesicherten, in einer wasserdichten Hülle eingepackten Filterelement hinter sich herzieht, erzählt sie mir, dass der Filter an allen IMIS-Messstationen immer montags zwischen sieben und acht Uhr gewechselt wird, um ein vergleichbares Messergebnis zu bekommen.
Staubprobensammler der PTB
Am äußeren Ende der PTB, auf einer Wiese, stehen die zwei Staubprobensammler. So heißen die großen, grauen Kisten aus Metall. Jeder hat ein eigenes Gebläse. Schon von Weitem kann man das Brummen hören. Bis zu 900 m3 Luft strömen in der Stunde durch den 60 cm x 60 cm großen Filter aus Polypropylen, der den in der Luft enthaltenen Staub zurückhält.
Posner klappt den Deckel auf, entnimmt den Filter samt Rahmen und legt den neuen, bereits im Labor in einen Stahlrahmen eingespannten Filter ein. An einer Anzeigetafel vergleicht sie die Werte, stellt alles auf null und schließt den Deckel gewissenhaft.
Zurück im Labor. Wieder heftet sie das Magnetschild mit ihrem Namen an die Tür, während ich mir die Plastiküberzieher über die Schuhe ziehe.
Sie schaltet den einen Sammler aus und den, mit dem neuen Filter, ein. Die Anzeige steht auf null. Die Staubsammlung für die nächste Wochenmessung beginnt.
Wiegen des Filters
Wir gehen in einen Nebenraum des Labors. Auf beiden Seiten des Raumes sind große Arbeitsflächen angebracht. Zwei Öfen – wie zum Tonbrennen sehen sie aus – unterbrechen eine der Arbeitsflächen. Die Arbeitsunterlage: alte, ausgediente Kalenderblätter. In diesem Laborraum wird das Filterelement aus seinem Stahlkorsett befreit und gewogen. Die Waage zeigt 54,78 g an. Im sauberen Zustand wog es 52,99 g. So steht es in rot auf dem Filter. Posner trägt die Werte in das Laborbuch ein. Vorsichtig faltet sie den Filter in einen Becher. Auch die auf der Arbeitsunterlage zurückgebliebenen Staubteilchen füllt sie fein säuberlich in den Becher. Kein Staubteilchen darf verloren gehen.
Mit dem Becher geht es in den Keller des Otto-Hahn-Baus. Über einen Computer, der im Vorraum an der Wand steht, beendet sie die noch laufende Messung. In einem fensterlosen Nebenraum, durch Stahltüren gesichert, stehen mehrere Gammaspektrometer.
Raum mit Gammaspektrometern
Ein Gammaspektrometer, auf den ersten Blick ein auf einem Ständer stehender, viereckiger Klotz aus gestapelten Bleiblöcken, ist die Apparatur, die die Messung der Strahlung ermöglicht. Im Inneren befindet sich eine Schale aus Kupfer mit einem Loch. Darunter der Strahlungsdetektor. Unter dem Tisch eine Flasche, gefüllt mit Stickstoff, der zur Kühlung des Detektors benötigt wird.
Viel Kraft braucht Britta Posner, um den schweren Deckel aus Bleiblöcken zur Seite zu schieben. Sie stellt den Becher in die Messkammer und schließt den Deckel.
Am Computer wird die Messung gestartet. „Nach einem halben Tag wird dann eine zweite Messung begonnen.“ sagt Posner.
Danach sind natürliche Radionuklide zerfallen und es werden Nachweisgrenzen u. a. für Caesium-137, ein Spaltprodukt des Kernwaffenfallouts sowie der Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima, von wenigen µBq/m3 erreicht. Das ist nur wenig über der Empfindlichkeitsgrenze, der Nachweisgrenze, der heute technisch-analytischen Möglichkeiten.
Die kurzfristigen Einträge künstlicher Radionuklide, liegen so weit unter den Pegeln der immer in der Luft natürlich vorhandenen Radionuklide, dass ihr Beitrag zur Strahlenexposition vernachlässigbar gering ist.
Als ich kurz nach acht den Otto Hahn-Bau verlasse, finde ich es sehr beruhigend zu wissen, dass die Radioaktivität lückenlos überwacht wird.

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